Revolution in Russland?

Kriege sind besonders für autokratische Regime gefährlich, insbesondere dann, wenn erstere nicht schnell und erfolgreich beendet werden. Historisch betrachtet – etwa mit Blick auf den Ersten Weltkrieg – wirken langwierige und verlustreiche Kriege als revolutionäre Katalysatoren. Zum einen, weil nicht nur Leid außerhalb des eigenen Machtbereichs, etwa durch Invasion und die damit einhergehende Zerstörung, erzeugt wird, sondern auch, weil auch im Inneren Verlustängste und Entbehrungen zunehmen sowie die Zahl der Gefallenen stetig steigt. Es stellt sich dahingehend im Moment sicherlich die Frage nach den Auswirkungen des Angriffskrieges gegen die Ukraine in Russland und ob sich dort eine Revolution abzeichnen wird, die das Regime von Putin beenden kann.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson hat darauf hingewiesen, dass Revolutionen in der Regel alte Machtmonopole zerstören und so lange andauern, bis ein neues und allgemein anerkanntes geschaffen wird (Chalmers, 1971: 118). Tatsächlich ist dahingehen auch die Rolle des Militärs nicht unbedeutend, wobei ein Putsch nicht zwingend darauf aus ist, das bestehende Machtmonopol zu zerstören, sondern mitunter danach streben kann, die Kontrolle über dasselbe zu erlangen, d.h. die Führungsschichten auszutauschen (Ebd., 121). Noch kann sich Putin auf seinen Sicherheitsapparat verlassen, der beispielsweise dazu dient, „freie Medien“ sowie Proteste gegen den Krieg in der Ukraine zu unterdrücken. Dieses Vorgehen trägt jedoch bereits revolutionäres Potential in sich, denn, wie ich an anderer Stelle bereits hervorgehoben habe, „[i]n dem Moment, in dem
sich diejenigen, die ihre eigene Macht nicht teilen wollen, gestützt auf Polizei, Sicherheitskräfte und Militär, dazu entschließen, Gewalt gegen das eigene Volk anzuwenden, öffnen sie gleichfalls die Büchse der Pandora und verändern den Charakter des revolutionären Prozesses.“ (Jacob, 2021: 25)

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr Gründe werden sich schließlich für den zivilen Widerstand innerhalb Russlands und damit einhergehend für revolutionäre Forderungen, d.h. nach dem Ende des Putin-Regimes ergeben. Zum einen sind „die wichtigsten erfolgreichen Revolutionen […] durchweg dadurch ausgelöst [worden], daß die Armeen der Status-quo-Eliten in auswärtigen Kriegen geschlagen worden waren“ (Johnson, 1971: 125), denn, so Johnson mit Blick auf die Russische Revolution von 1917 weiter, die „Niederlage im Krieg war der Auslöser, der die Soldaten zur Befehlsverweigerung veranlaßte; diese Befehlsverweigerung ihrerseits leitete die erste erfolgreiche russische Revolution in der Neuzeit ein.“ (Ebd., 126) Je länger und zermürbender der Krieg in der Ukraine für die russischen Streitkräfte und die russische Zivilbevölkerung, vor allem wegen der gegen das Land verhängten Sanktionen, wird, desto höher wird zum einen das Risiko für Putin, dass sich die Massen erheben und einen Systemwechsel, d.h. ein Ende des putinschen Regimes fordern werden und zum anderen, dass das Militär seine Unterstützung versagt und die revolutionären Massen gewähren lässt bzw. diese sogar unterstützt.

Dazu müssen sich die Menschen Russlands allerdings erheben und das trotz all der Gefahren, die mit offenem Protest dort einhergehen, denn “ Revolutionen können […] nur dann entstehen, wenn dieser Wunsch nach Freiheit [und nach Veränderung] von der Masse der Menschen erkannt, akzeptiert und geteilt wird, denn nur wo sich die Massen in Bewegung setzen, kann die ‚Lokomotive‘ der Revolution auf das Gleis in Richtung Zukunft gesetzt werden.“ (Jacob, 2021: 9). Diese Erhebung der Massen wird gleichfalls aller Voraussicht nach kaum friedlich bleiben können, denn „[w]enn eine Machtdeflation eintritt und die Integration des Systems zunehmend auf Zwang beruht, braucht die Elite dringender als bisher die bewaffnete Polizei des Systems und muß sie folglich verstärken.“ (Johnson, 1971: 149).

Die Aussicht auf eine gewaltsame Auseinandersetzung mit dem Regime hemmt folglich bisher auch noch viele Menschen, sich an Protesten zu beteiligen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese Bereitschaft in naher Zukunft zunehmen wird. Dahingehend wird die weitere Entwicklung davon abhängen, wie stark die Sanktionen die Menschen in Russland im Alltag einschränken werden und wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt. Allerdings dürfte auch Putin um die Gefahr eines langwierigen Krieges wissen und wird dahingehend nichts unversucht lassen, seine sogenannte „Spezialoperation“ so schnell wie möglich und damit so blutig wie nötig zu beenden. Die Zukunft seiner autokratischen Herrschaft wird schließlich davon abhängen, ob seine Armee Erfolge vermelden kann, bevor der zivile Unwillen gegenüber seiner Herrschaft so groß geworden ist, dass die Menschen in Russland selbst den bestehenden Gefahren trotzen, weil sie erkennen, dass ein Leben im System Putin keine Zukunft verspricht.

Referenzen:

Frank Jacob, Freiheit wagen! Ein Essay zur Revolution im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2021.

Chalmers Johnson, Revolutionstheorie, übersetzt von Karl Römer, Köln/Berlin 1971.

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