Wo bleibt die Revolution in Putins Russland?

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stellt sich die Frage danach, welche Auswirkungen derselbe auf die autokratische Herrschaft in Russland haben könnte. Es wird darüber spekuliert, wer Putin wann entmachten könnte und ob ein Wechsel an der Führungsspitze aus europäischer Perspektive einen Vorteil brächte. Oder wird dadurch nur erneut ein Regime an die Macht gebracht, das den anti-europäischen Kurs des russischen Machthabers in den vergangenen Jahren fortsetzen würde. Letztlich stellt sich zudem die Frage, inwieweit, auch mit Blick auf die historischen Ereignisse des Jahres 1917, eine Revolution den Krieg beenden könnte. Dahingehend ist jedoch Vorsicht geboten. Die Existenz von Unrecht allein ist selten Auslöser einer Revolution. Darüber hinaus dürfte die erste nationalistische Welle in Russland noch nicht vollends abgeebbt sein, sondern wird vielmehr durch den Druck von außen noch erhöht.

Ob und wie sich wirklich eine revolutionsorientierte Protestbewegung formieren wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zuallererst von der Frage, wie lange der Krieg noch dauern bzw. in welcher Form er weiterhin geführt wird. Wenn sich russische Niederlagen häufen, dann wird auch der Druck von innen zunehmen. Allerdings muss eine gewisse Aussichtslosigkeit um sich greifen, um den revolutionär möglichen Druck in anti-systemische Bahnen zu lenken. Kurzum: Nur wer nichts mehr zu verlieren hat und den Grund für diese Situation mit dem herrschenden System verbindet, der wird nach dem Ende des letzteren streben. Solange sich Putin auf Oligarchen, Armee, Polizei und konservativ-expansionistisch orientierte Kräfte im Land stützen kann, um Protest zu unterdrücken, wird es für revolutionär orientierte Elemente schwierig, gesellschaftliche Nischen zu finden und diese entsprechend auszunutzen.

Es lässt sich folglich konstatieren, dass der Umkehrgrenzpunkt eines revolutionären Prozesses in Russland noch lange nicht erreicht ist. Noch zu unsicher, scheint selbst nach einem Jahr des Krieges, in dem die russische Armee sicherlich kaum überzeugen konnte, die Lage für viele Menschen in Russland. Noch zu unsicher ist die Hinwendung zum Wandel, denn dieser ist weder sicher, noch ohne großen persönlichen Einsatz und schwerwiegende Folgen zu erreichen. Furcht vor der Zukunft ist ein Element, das revolutionäre Prozesse in deren Formationsphase stimuliert. In dieser Hinsicht werden sich erst mehr Menschen in Russland fürchten müssen, um wirklich anti-systemische Aktionen umzusetzen bzw. sich an solchen zu beteiligen.

Nichtsdestotrotz wächst der Druck auf Putin auch in Russland. Internationale Boykottmaßnahmen, die außenpolitische Lage sowie das Zusammenstehen der Welt – mitunter auch die Abwendung Chinas von Putins Linie – sowie die wirtschaftliche Not in den russischen Städten und dem Land, die sich bald in vollem Ausmaß zeigen dürfte, werden dafür sorgen, dass das interne Potential für revolutionäre Veränderungen an Kraft zunehmen dürfte. Was und ob es letztlich einen Anlass bzw. Auslöser dieses revolutionären Potentials geben wird ist zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss. Deshalb werden wir wohl weiter abwarten müssen, ob und wie sich das revolutionäre Potential, das es in Russland durchaus gibt, entwickelt und welche Rolle es für den Wunsch nach Beendigung eines Krieges spielt, der von Anfang an einer war, der nur schwer zu begründen ist. Je länger er dauert, umso schwieriger dürfte es werden, diesen zu legitimieren. Und schlussendlich ist es auch immer ein Mangel an Legitimation, der den Beginn des Endes politischer Herrschaft markiert. Putins Position ist nicht mehr unangefochten, so dass dieser Punkt vielleicht bereits überschritten wurde. Ob das jedoch ausreicht, die politische Ordnung in Russland dauerhaft und entscheidend zu verändern, werden erst die nächsten Monate, vielleicht sogar Jahre, zeigen. Das Warten auf eine Revolution in Russland wird also noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

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